Bulgarien: Oligarchen auf dem Vormarsch Die_Presse - 2009/2/3
Lokale „Businessmen“ sichern sich Aufträge durch Kontrolle von Behörden und Parteien, warnt ein Bericht.

Es war ein Vertreter der politischen Klasse selbst, der freimütig zugab, er könne nichts Verwerfliches am „Ring an Firmen“ finden. An denjenigen Firmen nämlich, die seine Partei unterstützen und im Gegenzug mit Aufträgen versorgt werden. Achmed Dogan, lang gedienter bulgarischer Politiker der Partei der türkischen Minderheit DPS, steht symptomatisch für die korrupte Verquickung von wirtschaftlichen und politischen Interessen – und für den selbstverständlichen Umgang vieler bulgarischer Politiker mit ihr.


Symptomatisch scheint diese Korruptionspraxis auch dem Sofioter Zentrum für Demokratieforschung (CSD), das in seinem Korruptionsjahresbericht 2008 vom Aufstieg einer Figur berichtet, die an russische Verhältnisse denken lässt: dem „politischen Investor“, in anderen Worten: dem Oligarchen.

Die bulgarischen „oligarsi“ hätten es zwar schwerer als ihre russischen Kollegen, da Bulgarien – zumal EU-Mitglied – den einheimischen Markt nicht direkt vor ausländischer Konkurrenz abschotten könne; und doch gewännen Oligarchen vor allem auf lokaler Ebene Einfluss, in Bereichen, die für internationale Unternehmen nicht interessant seien oder in denen diese lokale Partner benötigten.

„Gruppen von zwei bis sechs Individuen (oder Familien) haben oft die Kontrolle nicht nur über lokale Behörden, sondern auch über Vertreter von Institutionen der Zentralregierung erlangt“ – wie Polizei, Steuerbehörde, Gerichte oder Staatsanwälte. Korruptionskanäle sind vor allem die Vergabe öffentlicher Aufträge oder Konzessionen. Noch eine weitere Praxis hat sich im vergangenen Jahr etabliert, so die Autoren: Der „Tausch“ gefragter, in Gemeindebesitz befindlicher Grundstücke – etwa an der Schwarzmeerküste oder in Wintersportgebieten – mit unattraktiven Grundstücken, die im Privatbesitz „befreundeter“ Unternehmer sind. Nachdem der Boden seinen Besitzer gewechselt hat, widmen dieselben Gemeinderäte das Grundstück in Bauland um: Sein Wert vergrößert sich um ein Vielfaches. Das CSD schätzt, dass der Staat im Jahr 2008 dadurch mindestens 750 Millionen Euro verloren hat. Insgesamt zählte das Forschungsinstitut 2,1Millionen Korruptionsfälle für 2008.


Korrupte Zivilgesellschaft?

Auch der Nicht-Regierungs-Sektor – in westlichen Augen häufig verlässlicher Partner – entwickle sich zum Einfallstor für korrupte Praktiken: Nach den Angaben des CSD sind drei Viertel der Minister sowie 90Prozent der Bürgermeister in leitender Funktion in NGOs vertreten. Da der Staat zusehends höhere Projektgelder verwalte (40 Prozent im Jahr 2008), wäre dieser Bereich immer lohnender für den „Politiker als Unternehmer“.

Ein schlechtes Zeugnis stellen die Experten der rechtlichen Ahndung von Korruption aus: Zwischen 2004 und 2007 gelangten 80 Prozent der Ermittlungen mit Verdacht auf Korruption nicht vor Gericht. Zwischen 2005 und 2008 ging die Zahl der Anklagen um mehr als 30 Prozent zurück. „Was nicht mit einer Abnahme der Vergehen zu tun hat“, wie der Bericht lapidar vermerkt.

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